Sie gelten als «Vater der Mikrotherapie». Wie würden Sie diesen Ansatz einem Laien erklären?
Die Verfahren der Mikrotherapie sind eine Zusammenführung und Weiterentwicklung von Radiologie, Endoskopie und Schmerztherapie. Sehr erfolgreich und schonend lassen sie sich an Rückenerkrankungen einsetzen.
Dabei liegt der Patient so, dass die zu therapierende Region optimal zu erreichen ist und im Tomographen sichtbar gemacht werden kann. Einige Geräte sind so konzipiert, dass in ihnen operiert werden kann. Die meisten Eingriffe erfolgen bei lokaler Betäubung, der Arzt kann sich während der Behandlung mit dem Patienten unterhalten.
Was ist mit der medikamentösen Mikrotherapie gemeint?
Medikamentöse Mikrotherapie bedeutet, dass Substanzen gezielt in den Körper injiziert werden. Behandelt wird beispielsweise die Wirbelsäule bei einem Bandscheibenvorfall, wobei das Gewebe durch die Injektion von antientzündlichen Medikamenten punktgenau behandelt wird. An und in Hüft-, Schulter-, Kniegelenken und kleinen Gelenken können sehr gezielt Schmerzmittel oder künstliche Gelenkflüssigkeit eingebracht werden.
Rückenprobleme sind längst zum Volksleiden geworden. Welche praktischen Tipps können Sie zur Vorbeugung geben?
Mein Motto dazu: «Turne bis zur Urne». Vom Babyschwimmen bis zur Gymnastik der 100-Jährigen. Wenn wir uns mehr bewegen, beugen wir nicht nur Rückenschmerzen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes vor. Die Bewegung macht auch den Kopf frei, wenn wir unter Druck sind. Und dann kann ich auch die Probleme wieder angehen, die u. a. zur Verkrampfung der Rückenmuskulatur und des Gehirns geführt haben.
Sie haben ausserdem den Begriff der «liebevollen Medizin» geprägt. Was verstehen Sie darunter?
Das bedeutet für mich vor allem Vertrauen zwischen Arzt und Patient. Immer wieder geraten wir trotz aller Vorsorge in Situationen, in denen wir ärztliche Hilfe brauchen, nicht nur medizinische Versorgung, sondern einen Beistand, der uns die Angst nimmt – kurzum, einen Arzt, dem wir vertrauen, weil er uns kennt und um die Verhältnisse weiss, in denen wir leben und arbeiten.
Dass sich diese vertrauten Verhältnisse zunehmend in Auflösung befinden, dass dem Hausarzt immer weniger Bedeutung zugemessen wird, zählt zu den grössten Verlusten des modernen Gesundheitswesens. Bei einer Untersuchung amerikanischer Soziologen hat sich herausgestellt, dass Patienten durchschnittlich schon nach 18 Sekunden vom Arzt unterbrochen werden, wenn sie diesem ihre Leiden schildern. Verständnis kann in dieser Hektik nicht entstehen. Vertrauen braucht Zeit, es muss wachsen können. Und ohne Vertrauen geht es nun mal nicht, schon gar nicht in der Medizin.
Wie wichtig ist die Psyche für den Erfolg einer Therapie?
Extrem wichtig – jeder Mensch ist ja eine Einheit aus Körper, Seele und Geist.
Worauf sollte Ihrer Meinung nach der Fokus der modernen Medizin gerichtet sein?
Es ist doch bedauerlich, dass viel zu oft über Kosten und Probleme in unserem Gesundheitssystem gesprochen wird, statt von Erfolgen, Nutzen und Möglichkeiten der Medizin. Für mich steht die Schulmedizin zunächst im Vordergrund, das ist die Basis: das Gespräch mit dem Patienten, die körperliche Untersuchung. Die Technik soll nicht die klassische Medizin ablösen, sondern ergänzen.
Wie passen für Sie Medizintechnik und Naturheilkunde zusammen?
Wir können heute Epidemien besiegen, Krankheiten, die früher zum Tode führten heilen und sogar das Herz verpflanzen. Moderne Verfahren ermöglichen eine sehr genaue Diagnose sowie die Früherkennung drohender Krankheiten. Das alles haben wir der Schulmedizin, nicht der Naturheilkunde, zu verdanken – einerseits.
Andererseits haben wir, fixiert auf den naturwissenschaftlichen Fortschritt, allzu oft Wesentliches aus dem Auge verloren. Ich meine die Kraft der Pflanzen in unserer Ernährung genauso wie zur Behandlung von Volkskrankheiten in der Frühphase. Auch die Tatsache, dass Körper, Seele und Geist eine Einheit bilden, haben wir Ärzte mehr und mehr aus dem Blick verloren.
In Ihrem aktuellen Buch widmen Sie sich Heilkräutern. Können sie herkömmliche Präparate der Schulmedizin ersetzen?
Lassen Sie mich das an einem Beispiel verdeutlichen: Werden Schmerzmittel längerfristig eingenommen, besteht die Gefahr, dass die erhoffte Wirkung nachlässt. Schlimmstenfalls kann es zur Schädigung von Organen oder zur Abhängigkeit kommen. Deshalb sollte die Behandlung nach der Methode «von leicht nach schwer» erfolgen. Und pflanzliche Heilmittel sind nun mal ein weniger schweres Geschütz.
Allerdings sind Phytotherapeutika auch nicht die Allheilmittel, als die sie mitunter angeboten werden. In leichteren Fällen helfen sie aber gleich zweifach. Erstens können sie zur Heilung führen und zweitens ersparen sie dem Körper die Belastung durch stärkere, synthetisch erzeugte Medikamente.
Welche Pflanzen lassen sich als «Basics» leicht selbst anbauen und verwenden?
Bei Husten und Schnupfen wären das Salbei, Thymian, Pfefferminze oder Senföle. Bei Fieber helfen Wadenwickel und Arzneien mit Weidenrinde oder Mädesüss, die ebenso bei Muskelverspannungen, Rücken- und Gelenkschmerzen wirken. Ingwer und Heilerde lindern Übelkeit, bei Magen- und Darmproblemen wie Völlegefühl, Blähungen oder Bauchschmerzen helfen Kümmel, Kurkuma, Kamille oder Melisse. Hautentzündungen können mit Aloe Vera oder Kamille gelindert werden. Auf dem Balkon oder im Garten lassen sich gut Thymian, Salbei, Pfefferminze und Melisse anbauen.
Sie engagieren sich für die medizinische Aufklärung von Kindern. Wie können Eltern gesundheitliche Themen und auch Krankheiten altersgerecht ansprechen?
Insbesondere geht es darum, Kinder für ihren Körper zu interessieren. Also Wissen vermitteln ohne erhobenen Zeigefinger, sondern spielerisch, im Dialog, als Abenteuer. Mit diesem Anspruch habe ich Bücher, Hörspiele, Gesundheitsmusicals und Bühnenshows sowie einen internationalen Kino-Film entwickelt: «Der kleine Medicus – The Little Medic».
Worauf sollten Eltern bei der ganzheitlichen Gesundheitsvorsorge für ihre Kinder achten?
Sich Zeit nehmen für ihre Kinder, für Gespräche, für gesunde Ernährung, für Sport, so oft es geht im Freien: Das Beste, was man für ein Kind tun kann, ist genau das, was auch das Kind gerne hat. Sicher, es möchte spielen, möchte ausprobieren, Neues lernen und Kräfte messen. Ein Kind möchte aber auch in den Arm genommen werden, Nähe spüren und geben. Das können auch wir von den Kindern lernen: Offen sein für die Gefühlswelt des anderen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer leitet das Grönemeyer Institut für Mikrotherapie in Bochum und ist Professor für Gesundheitswirtschaft an der Steinbeis-Universität Berlin. Er verfasste ab 2005 die Kinderbuchreiche «Der kleine Medicus», 2019 erschien sein Ratgeber «Selbst heilen mit Kräutern». Seit Herbst 2019 erscheint das Magazin «Professor Dietrich Grönemeyer» im Funke-Verlag. Im ZDF hat Prof. Grönemeyer mit «Leben ist mehr!» seine eigene Sendung.