Darm und Psyche: Wie Bakterien glücklich machen

Unser «zweites Gehirn» sitzt grösstenteils unter der Gürtellinie

Ein glückliches Paar macht ein Picknick an einem See

Wie sehr das Gehirn den Verdauungstrakt beeinflussen kann, weiss jeder, der vor lauter Stress schon einmal Durchfall hatte. Eine normale Reaktion des Nervensystems, wenn Energie für Wichtigeres als die Verdauung benötigt wird. Doch der Darm ist keine Einbahnstrasse, nach dem Motto: Von oben kommen Signale und unten kommt was raus. Darm und Psyche beeinflussen sich wechselseitig.

Der Darm und die Psyche: gar nicht so verschieden

Immer mehr Studien zeigen: Was im Darm passiert, hat wesentliche Auswirkungen auf unser Oberstübchen. Denn der Darm ist nicht nur Empfänger von Signalen, er sendet sie auch ans Gehirn und beeinflusst damit unsere Gefühle. Diese beiden «klugen» Organe haben ja auch einiges gemein. Ähnlich wie unser Gehirn verfügt der Darm über Milliarden Neuronen; und wie in unserem Gehirn kommunizieren die Nervenzellen miteinander über Botenstoffe.

Der Darm: Schuld an Depressionen?

Eine Hauptrolle im symbiotischen Wechselspiel der «klugen» Organe spielen die rund hundert Billionen (!) Darmbakterien. Versuche an Mäusen zeigten, dass eine gestörte Darmflora zu einer verminderten Konzentration des Glückshormons Serotonin im Gehirn führt. Ein Serotoninmangel steht in Verbindung mit Depressionen. Weil der grösste Teil der Serotoninproduktion im Darm stattfindet, werden «schlechte» Darmbakterien heute als potenziell Mitverantwortliche für dieses psychische Leiden diskutiert.

Herr Prof. Dr. Vavricka, unser Darm ist ein echter Stimmungsmacher. Könnten wir dieses Wissen im täglichen Leben nutzen?

Es gibt eine besonders spannende Studie, die in diese Richtung weist. Gesunde Frauen wurden vier Wochen lang mit probiotischen Keimen, wie sie in Joghurts vorkommen, behandelt. Eine Kontrollgruppe bekam Placebos. Danach wurde den Teilnehmerinnen beider Gruppen Bilder gezeigt, die wütende oder fröhliche Gesichter zeigten. Mithilfe von Hirnscannern konnte man zusehen, wie bestimmte Hirnareale reagierten. Das Ergebnis: Frauen, die probiotische Keime bekommen hatten, zeigten eine bessere Stressverarbeitung beim Umgang mit bedrohlichen Bildern.

Wir sollten also mehr probiotische Joghurts essen, um besser mit Nörglern und anderen Stinkstiefeln klar zu kommen?

Da kann etwas dran sein. In einer anderen Studie behandelte man Insassen von Gefängnissen mit Probiotika. In psychologischen Tests erwiesen sie sich danach als weniger aggressiv. Die Idee ist dieselbe: Verändert man etwas an der Darmflora, verändert sich auch etwas in der Psyche.

Diese Erkenntnisse müssen für Mediziner umwälzend sein.

Ich würde sogar behaupten, dass uns diese Zusammenhänge von Darm und Psyche in den nächsten zehn Jahren am meisten beschäftigen werden. Dies betrifft nicht nur die Auswirkungen einer veränderten Darmflora auf unsere Emotionen, sondern auch die präventive Behandlung bestimmter Erkrankungen.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Prof. Vavricka.
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