CO2-Neutralität: So bleibt sie kein Traum

Wie wir mit CO2-Neutralität unser Klima retten können

Wald von oben mit Strasse
Professor Knutti, wie viel CO2 wird aktuell produziert und wie viel wäre okay?

Jährlich produzieren wir auf der Erde etwa 40 Milliarden Tonnen CO2. 40 Milliarden Tonnen zu viel, denn okay wären null. Von der CO2-Neutralität sind wir noch weit entfernt.

Was bedeutet CO2-Neutralität genau?

Dass wir unsere CO2-Emissionen auf null setzen müssen. Heisst: Alle Kohlendioxid-Quellen müssten eliminiert werden. Weil das aber sehr teuer und nicht in allen Fällen möglich ist, muss – für eine Neutralität – der Rest des CO2-Ausstosses etwa im Boden eingelagert oder durch Aufforstung kompensiert werden.

Und kompensieren à la: Ich verzichte auf Plastik-Strohhalme und fliege dafür in die Ferien?

So lässt sich CO2-Neutralität leider nicht erreichen. Jeder Schweizer produziert pro Jahr im Inland durchschnittlich sechs Tonnen CO2. Schon ein Flug von hier nach Australien und zurück würde das verdoppeln. So viele Plastik-Strohhalme lassen sich in einem Leben gar nicht einsparen. Und dann wären wir auch nicht auf null, sondern wieder auf den sechs Tonnen, von denen wir ursprünglich ausgegangen sind.

Soll das heissen, man kann als Einzelner gar nicht viel tun?

Doch natürlich, sehr viel sogar! Jeder kann mit der eigenen Wahl einiges bewirken: lieber Fahrrad als Auto, Bahn statt Flugzeug, Bohnen aus der Region anstelle des Steaks aus Argentinien.

Jeder kleine Schritt zählt, denn so kann sich ein Bewusstsein in der Gesellschaft durchsetzen. Ein Beispiel ist die Aktion «Fridays for Future»: Jede Woche wird aufs Neue darüber berichtet, jeder hat eine andere Meinung dazu – und doch bringt sie Millionen Menschen dazu, sich mit dem Thema Klimaschutz zu beschäftigen. Diese Präsenz und Diskussion brauchen wir im Alltag. So findet erst eine Sensibilisierung statt und wir beginnen darüber nachzudenken, was wir denn stattdessen besser machen können.

Wie kommt es dann, dass sich doch noch sehr wenig tut?

Ganz einfach: Wir Menschen sind faul und wahnsinnig gut darin, uns Ausreden zu suchen. Zwischen Wissen und Handeln liegt eine riesige Diskrepanz: Es ist bekannt, dass der Flugverkehr in der Schweiz etwa einen Viertel aller Emissionen ausmacht und trotzdem fliegen dieses Jahr mehr Leute als im letzten Jahr. Das Problem: Der Klimawandel bedroht uns (noch) nicht an Leib und Leben, das macht es leicht, die Tatsache zu verdrängen.

Nur ein Teil der Menschen wird aus eigenem Antrieb etwas verändern und zur CO2-Neutralität beitragen. Der grösste Anreiz bleibt das Geld. Erst wenn sich ein Markt bietet, tut sich etwas.

Wie lässt sich diese Kette durchbrechen?

Das ist die Frage nach der Henne und dem Ei. Müssen die Menschen ihr Konsumverhalten ändern? Ist es Aufgabe der Wirtschaft, bezahlbare Alternativen zu bieten? Muss die Regierung härter durchgreifen? Die Antwort ist: Alle zusammen. Die Regierung muss die Rahmenbedingungen schaffen, in denen sich Wirtschaft und Bürger entsprechend verhalten können. Dabei muss zwischen technisch-wirtschaftlicher Machbarkeit – die ist weitestgehend gegeben – und politischer Machbarkeit à la «Haben wir den Willen, das zu tun?» unterschieden werden. Dank der Allgegenwärtigkeit der Thematik in Politik, Gesellschaft und Natur hat sich in den letzten Jahren viel getan.

Wenn wir schon von optimalen Voraussetzungen sprechen: Wäre ein Minus in der CO2-Bilanz nicht besser als nur eine Neutralität?

Alle Staaten haben sich in den Klimaverhandlungen geeinigt, die Erwärmung auf deutlich unter 2°C zu beschränken. Das können wir mit der CO2-Neutralität erreichen – und das ist schon schwierig genug. Um wieder dorthin zurückzukommen, wo wir vor dem Klimawandel standen, müsste zusätzlich alles früher ausgestossene CO2 aus der Luft entfernt werden. Rein technisch wird das irgendwann vielleicht möglich sein, doch macht es wirtschaftlich momentan noch keinen Sinn. Unter allen Fernzielen sollten wir nicht vergessen, was momentan zu tun ist.

Aber ist es dann nicht irgendwann zu spät?

Es ist nie zu spät! Auch wenn sich viele Veränderungen nicht mehr rückgängig machen lassen, in schwarz-weiss zu denken bringt uns auch nicht weiter. Klar, der beste Zeitpunkt, den Klimawandel aufzuhalten, wäre vor 20 Jahren gewesen. Der zweitbeste ist jetzt und der drittbeste in einem Jahr. Wir können und sollten immer etwas tun: in die Zukunft denken, im Jetzt handeln und aus der Vergangenheit lernen. Die ersten Schritte sind gemacht.

Vielen Dank für das Gespräch!
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