«Dr. House» muss warten. Zu Recht wies mich mein Redaktionsleiter darauf hin, dass ich mich aufgrund des aktuellen Hypes um ihre zweite Staffel der Serie «Charité» widmen solle. Nun denn …
Ich beginne mit einem Geständnis: Mein Vertrauen in die Qualität deutscher Film- und Fernsehproduktionen war über lange Jahre hinweg – gelinde gesagt – eingeschränkt. Ab und an war einmal eine «Tatort»-Folge dabei, bei der der fragende Blick meiner Gattin nicht als «Willst du das wirklich schauen oder können wir umschalten?» interpretiert werden musste. Doch dann kam «Babylon Berlin» und veränderte mein Weltbild wie die Serie «Holocaust» den Blick der Deutschen auf das Dritte Reich.
Berliner «Charité» in Prager Norden
Das Konzept beider Staffeln von «Charité»: die Einbettung fiktiver Geschichten und Personen in die reale Vergangenheit unter Einbeziehung historischer Protagonisten. Dabei bot sich die Berliner Charité als das möglicherweise berühmteste Krankenhaus der Welt, welches Koryphäen wie den Pathologen Rudolf Virchow (Begründer der modernen Pathologie), die Forscher Robert Koch (Entdecker des Milzbrand- und Tuberkulose-Erregers), Emil von Behring (Begründer der Schutzimpfung) und Paul Ehrlich (Begründer der modernen Immunologie) sowie den grossen Chirurgen Ferdinand Sauerbruch hervorbringen sollte, als perfekter Aufhänger an.
Als Drehort wurde das im frühen 18. Jahrhundert erbaute Gebäude «Invalidovna» in Prag für die bisweilen surreal und etwas zu morbide erscheinenden Kulissen auserkoren.
Als Waise zwischen Siechenden
Der Handlungsstrang der ersten Staffel: Die verarmte jugendliche Vollwaise Ida Lenz muss in der Klinik ihre Behandlungskosten abarbeiten wie eine Zechprellerin und fällt fortan durch ihre Begeisterung und ihr Talent für die Medizin auf. Die Geschichte ihres Erwachsenwerdens wird geschickt mit historischen Gegebenheiten und Personen sowie deren Privatleben verwoben.
Nur wenigen Zuschauern dürfte indes bewusst sein, dass noch am Ende des 19. Jahrhunderts ein Grossteil der Patienten das Krankenhaus aufgrund der unsäglichen hygienischen Verhältnisse und der mangelnden medizinischen Kenntnisse nicht lebend verlassen sollte. Im Krankenhaus wurde gepflegt und nur selten geheilt.
Geschichtsklitterung statt Heilung
Derzeit macht die zweite Staffel von «Charité», die vor dem Hintergrund der Kriegsjahre 1943 bis 1945 spielt, Schlagzeilen und Quote. Mit dieser habe ich zugegebenermassen so meine Schwierigkeiten. Ob beabsichtigt oder nicht: Hier wird massiv Geschichtsklitterung betrieben. Und so reiht sich die Serie nahtlos in die Machwerke von Regisseuren ein, die Deutschland gerne als Hort von Widerständlern und die Deutschen als gleichberechtigte Opfer des Nationalsozialismus und der Alliertenverbände darzustellen versuchen. Der Bösewicht spricht mit einem österreichischen Akzent und hat somit die Herkunft mit dem Führer gemein. Alles klar?
Dem weltberühmten Chirurgen und NSDAP-Mitglied Prof. Ferdinand Sauerbruch, dessen beruflicher Lebensweg in der Charité als roter Faden dient, gebührt alle Ehre ob seiner medizinischer Verdienste. Dass er allerdings durch ein besonders kritisches Verhältnis zu Hitler und seinen Schergen aufgefallen wäre, ist mir noch in keiner historischen Quelle begegnet.
Charité: Medizin im Rassenwahn
Zum Inhalt: Die Medizinstudentin Anni Waldhausen wohnt im Rahmen ihres Staatsexamens einem Eingriff bei, bei dem Prof. Sauerbruch den zerschossenen Oberschenkel (möglicherweise selbst zugefügt?) eines kriegsversehrten Soldaten retten kann, und fällt durch profunde Kenntnisse auf. Sie und ihr Ehemann Artur, ein Oberarzt der Kinderklinik, gelten als arisches Vorzeigepaar. Als dieser jedoch später nicht davon zurückschreckt, das gemeinsame Kind, welches einen Hydrozephalus («Wasserkopf») entwickelt, der Forschung zuzuführen, wird der gesamte Wahnsinn des politisch verordneten Euthanasieprogramms offensichtlich.
Dem Zuschauer werden allerlei kriegsbedingte Leiden und Verletzungen vor Augen geführt, wobei sich die Ärzteschaft bereitwillig und in blindem Gehorsam den Rassengesetzen der NS-Ideologie unterwirft. Im OP-Bunker und unter dem Eindruck des russischen Artilleriefeuers besinnt sich Artur schliesslich und kümmert sich fortan bis zum Kriegsende aufopfernd und unter Lebensgefahr um seine Patienten.
Im neuen Fernsehen gilt eben auch wie im Fussball: Nicht kleckern, sondern klotzen. Bei der Ausstattung (Kulissen und Kostüme) wurde nicht gespart, gleichzeitig das Who-is-Who der deutschen Schauspielergilde verpflichtet (grandios: Ulrich Noethen als Ferdinand Sauerbruch). Nur so schafft man es heute in die Mediatheken von Netflix, Amazon und Konsorten.
Dann doch lieber ein griesgrämiger Dr. House, der lediglich die Krankenhausregeln missachtet!