Burn-on-Syndrom – immer kurz vor zu viel

Das Phänomen der chronischen Erschöpfungsdepression, kurz vorm Burn-out

Burn-on-Syndrom: Mann sitzt betrübt auf einer Mauer

Spoiler

  • Während das Burn-out uns als akute Erschöpfungsdepression in die Knie zwingt, arbeiten wir im Dauerbrennmodus, der für das Burn-on-Syndrom als chronische Variante typisch ist, einfach weiter. Wir sind immer kurz davor, auszubrennen.
  • Nicht ganz so offensichtlich, sind die Symptome dennoch erkennbar: Tinnitus, Schmerzen in Nacken, Schultern und Rücken, Spannungskopfschmerzen, hoher Blutdruck und Schlaflosigkeit.
  • Je nach Schweregrad hilft es, den Alltag entspannter anzugehen, sich weniger zu verausgaben und Selbstfürsorge zu betreiben. Ergänzend kommen auch Medikamente und Psychotherapien infrage.

«Das geschäftige Gestresstsein ist zur allgemeinen Betriebstemperatur geworden», so Prof. Bert Wildt, Chefarzt der Psychosomatischen Klinik Kloster Diessen. Sein Buch «Burn on. Immer kurz vorm Burn Out» entstand in Zusammenarbeit mit dem Psychologen Timo Schiele. Es beschreibt das Phänomen der chronischen Erschöpfungsdepression, dem Burn-on-Syndrom, das sie zunehmend bei Patienten feststellen. «Die Symptome sind weniger offensichtlich als beim Burn-out. Betroffene sind noch nicht zusammengebrochen, aber dauerhaft kurz davor. Sie spüren eine tiefe Erschöpfung, beharren aber darauf, dass alles gut sei», beschreibt der Facharzt.

 

Feierabend. Ein Begriff von gestern?

Alles ist eng getaktet, von früh bis spät im Arbeitsmodus – was zu kurz kommt, ist die Selbstfürsorge. Dass das im Burn-out enden kann, wissen wir. Um effizient zu bleiben, aber nicht zusammenzubrechen, kultivieren wir die chronische Form, das Dauerbrennen. «Wir gefallen uns als Gesellschaft der Geschäftigkeit. Die Selbstausbeutung und die Fremdausbeutung sind in den letzten Jahrzehnten eine unheilige Allianz eingegangen. Das Arbeitsleben wird oft als Wettkampf gesehen», so Prof. te Wildt.

 

Innen völlige Leere durch Burn-on-Syndrom

Die Depression ist die gefürchtete Folge des Burn-on-Syndroms. «Die Freude an der Arbeit oder der Familie wird langsam zur leeren Hülle, im Innersten fühlt man sich völlig teilnahmslos», beschreibt Prof. te Wildt und betont, dass eine Depression keine Steigerung von Traurigkeit sei, sondern eine psychische Erkrankung. Es kommt zu Konzentrationsstörungen, Fehler werden wahrscheinlicher. Auch körperlich fordert der dauerhafte Betriebsmodus seinen Tribut. Tinnitus, Schulter-Nacken- oder Rückenschmerzen, Spannungskopfschmerzen, hoher Blutdruck und Schlaflosigkeit sind typische Folgen.

 

Was ist wirklich wichtig?

Während ein Burn-out uns akut in die Knie zwingt, funktionieren wir bei der chronischen Variante der Erschöpfungsdepression lange weiter. Wie bei einem Leck versickert unbemerkt Energie. Angehörige oder Freunde, die uns einen Spiegel vorhalten, können die Abwärtsspirale unterbrechen. Denn allem voran müssen Betroffene sehen, was sie sich selbst antun und die Bereitschaft entwickeln, etwas zu ändern. Prof. te Wildt empfiehlt, sich ernsthaft mit der Frage «Was ist mir wirklich wichtig?» zu beschäftigen und ehrlich anzuschauen, wie viel davon im Alltag auftaucht. Die Angst, nie zu genügen, Perfektionismus, ein geringes Selbstwertgefühl – diese verbreiteten psychischen Hürden verleiten dazu, sich nur über Leistung zu definieren und zu verausgaben. Um Arbeit entspannter und gelassener anzugehen, ist Einsatz für sich selbst gefragt. Je nach Symptomatik kommen beim Burn-on-Syndrom Psychotherapien oder Medikamente zum Einsatz.

 

Eigene Spielregeln, um dem Burn-on-Syndrom vorzubeugen

Die Digitalisierung und die Pandemie haben es noch erschwert, unser Arbeits-Ich in gesunde Schranken zu weisen. «Durch Möglichkeiten wie Homeoffice oder Video-Meetings hat Arbeit zeitlich und räumlich kaum mehr Grenzen», erklärt Prof. te Wildt. Er rät, Zeiten mit und ohne Arbeit klar abzustecken. Und «ohne» heisst, auch nicht vom Smartphone eine E-Mail zu beantworten. Wir sind in der komfortablen Situation, viele Regeln selbst machen zu können. Und von dieser Freiheit noch etwas überfordert.

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