Brillenglasbestimmung: wie Seife für die Augen

Die Brillenglasbestimmung ist ein vielschichtiger Vorgang von nicht nur augenmedizinischer Bedeutung

Spoiler

  • Bei der Brillenglasbestimmung werden verschiedene Untersuchungen durchgeführt, um den individuellen Sehfehler zu ermitteln.
  • Im Gespräch mit dem Patienten werden zudem die Bedürfnisse und die Möglichkeiten seines Alltags erfragt. Danach richtet sich die Wahl der Gläser.
  • Durch regelmässige Kontrollen fallen unscheinbare Veränderungen an den Augen frühzeitig auf.

Wer zu Dr. Christoph Castelberg kommt, wird erst einmal ordentlich eingeseift – zumindest dem Wort nach, denn wie der Optometrist an und mit dem Kunden eine Brillenglasbestimmung vornimmt, erklärt er gern mit dem englischen Wort ‹soap’, der zum Akronym gewordenen Seife also. «Die erste Frage, die ich meinen Kunden stelle, ist die nach ihren visuellen Beschwerden oder ganz einfach nach dem Grund ihres Erscheinens. Hierbei geht es zunächst erst einmal nur um das rein subjektive Befinden.» Subjectivity – das ‹S› in der Seife.

Detaillierte Anamnese

Welches Leiden den Kunden tatsächlich plagt, welche Umstände sein berufliches und sein Privatleben prägen, welche Krankheiten in seiner Familie verbreitet sind, welche Medikamente er einnimmt – All das versucht der kundige Optometrist während eines Vorgesprächs in Erfahrung zu bringen.

Objectivity – das ‹O› in der Seife – lautet hierbei das Motto und Dr. Castelberg weiss nur zu gut, dass diese detaillierte Anamnese wesentlich zeitaufwändiger ist als die eigentliche Brillenglasbestimmung. «Aber trotzdem ist die Befragung zu Beginn der Untersuchung von grosser Bedeutung», erklärt er, «denn schon hier zeichnet sich für den Optometristen fast immer ab, welche visuelle Beeinträchtigung im konkreten Fall vorliegt.»

Brillenglasbestimmung: intensive Untersuchungen

Die eigentliche Untersuchung vor der Brillenglasbestimmung beginnt in der Regel mit verschiedenen Funktionstests, mithilfe derer beispielsweise die Augenmotorik und das Pupillenspiel geprüft werden. Bei der anschliessenden Inspektion des vorderen und hinteren Augenabschnittes wird der allgemeine Zustand der beiden Sehorgane vom Lid bis zum Augenhintergrund untersucht. Daneben misst der Optometrist den Augeninnendruck. «Im Augenhintergrund kann der Spezialist unter anderem den Zustand der Arterien und Venen direkt erkennen und ist deshalb auch in der Lage, Rückschlüsse auf die Allgemeingesundheit des Patienten zu ziehen», meint der Experte.

Mit dem Blick rund um und in die Augen kann der Optometrist erkennen, ob die visuellen Beschwerden durch eine Fehlsichtigkeit oder eine Krankheit wie beispielsweise Bluthochdruck, Diabetes oder eine Entzündung verursacht werden.

Individuelle Ausmessung der Augen

Erst jetzt geht es an die eigentliche Refraktionsbestimmung, die Erfassung des abweichenden Brechwertes des fehlsichtigen Auges, verglichen mit einem normalsichtigen Auge. «Das Refraktionieren ist unerlässlich für die Verordnung der passenden Sehhilfe», betont Dr. Castelberg, «denn nur dadurch kann der Kunde die für ihn richtige Sehhilfe verordnet bekommen.»

Genau aus diesem Grund liesse sich auch der Optometrist nicht durch noch so moderne Messgeräte ersetzen: «Jeder einzelne Patient ist ein Individuum mit seinen individuellen Abweichungen und lässt sich nicht einfach durch Maschinen ‹vermessen›.»

Wichtig bei der Brillenglasbestimmung: das Refraktionieren

Entsprechend umfassend fällt das Refraktionieren aus: Zunächst wird Auge für Auge während der sogenannten objektiven Bestimmung entweder mit dem Skiaskop, dem Autorefraktometer oder dem Wellenfront-Aberrometer untersucht, bevor der Optometrist bei der subjektiven Bestimmung die visuelle Wahrnehmung des Kunden erfragt. Hier kommt die bekannte Messbrille oder auch der Phoropter zum Einsatz; eine Apparatur, mit deren Hilfe vor dem Auge des Kunden verschiedene Gläser herauf- und heruntergeschaltet werden können.

Das zuvor erzielte objektive Ergebnis kann nun dem Empfinden des Kunden entsprechend verfeinert werden, um die Brillenglasbestimmung zu perfektionieren. Daraufhin werden beide Augen gemeinsam überprüft, wobei das Sehgleichgewicht ermittelt und etwaige Augenfehlstellungen wie das Schielen erkannt werden können. Mit der abschliessenden Untersuchung des Nahsehvermögens endet diese Phase des Refraktionierens.

Direkt im Anschluss folgt die Diagnose – das ‹A› der Seife für «Assessment»: Der Optometrist stellt die Ergebnisse seiner Untersuchungen dem Kunden vor und entwickelt mit ihm einen Plan zum weiteren Vorgehen – das finale ‹P› der Seife.

Lebensumfeld entscheidet mit

Hier werden vom Optometristen die Daten herangezogen, die er während der ganzen Untersuchung ermittelt hat, denn die Form der Sehkorrektur richtet sich nicht nur nach dem Sehfehler des Kunden, sondern auch nach seinen persönlichen Lebensbedingungen.

«Beleuchtung, Staub und Luftfeuchtigkeit spielen neben vielen anderen Faktoren eine grosse Rolle», erklärt Dr. Castelberg und zählt einige Beispiele auf: «Der Büroangestellte braucht die Brille wohl eher im Zwischen- und Nahbereich, während für den LKW-Fahrer die Fernsicht wichtiger ist. Für den Sportler kann vielleicht eine weiche Kontaktlinse wegen der grösseren Bewegungsfreiheit die richtige Lösung sein. Eine formstabile Linse eignet sich womöglich für den Bäcker, der in staubiger Luft arbeitet, weniger gut. In diesem Sinne sind eigentlich alle Berufsfelder, alle Kunden Sonderfälle.»

Individuell angepasste Brillengläser

Auch aus diesem Grund ist also die individuelle Brillenglasbestimmung durch einen Experten erforderlich – und diese sollte auch nicht erst wiederholt werden, wenn sich Veränderungen in der visuellen Wahrnehmung bemerkbar machen. «Selbst wenn keine subjektiven Augenprobleme festgestellt werden, sind regelmässige Augenuntersuchungen wichtig, weil sie Auskunft über die Augengesundheit und auch über die Allgemeingesundheit des Patienten geben können», rät Dr. Castelberg. Sich hin und wieder nach allen Regeln der optometrischen Kunst einseifen zu lassen, ist somit jedermann nur zu empfehlen.

Facebook
Email
Twitter
LinkedIn