Prof. Wiewelhove, was versteht man unter Biohacking?
Dabei handelt es sich um eine Do-it-yourself-Naturwissenschaftsbewegung mit dem Ziel der Selbstoptimierung anhand von wissenschaftlichen Methoden. Diese wurden jedoch meistens nicht in einem Forschungszentrum einer Universität entwickelt, sondern eher in privaten Settings. Es sind meist Methoden, Trends und Massnahmen mit einem starken Technologiebezug, der die Biologie ergänzt, um körperliche Funktionen zu optimieren – die Leistungsfähigkeit und die Gesundheit. Auf die Frage gibt es jedoch viele verschiedene Antworten, da unterschiedliche Personen unterschiedliche Dinge unter Biohacking verstehen.
Der Begriff Biohacking setzt sich aus «Bio» für «Leben» und «Hacking», das man aus der Informatik kennt, zusammen. Der Begründer des Begriffs, IT-Genie Dave Asprey, kam auf die Idee, seinen Körper ähnlich wie ein Computersystem zu kontrollieren, verändern und verbessern, indem er ihn hackt. Konkret wollte er wissen, welche Hacks, also (technologischen) Massnahmen, welche Wirkung auf das biologische System erzielen. Das Fundament des Biohackings steht auf drei Säulen, die optimiert werden: Körper, Geist und Ernährung. Wir beleuchten mit Prof. Wiewelhove insbesondere den Bereich Körper und sprechen über Biohacking im Sport, wie EMS, Kälte- und Wärmetherapien.
Welche Rolle spielen Methoden zum Biohacking mittlerweile im Profisport und im Fitnessbereich?
Im Profisport werden viele technologische Mittel genutzt, jedoch hat man da eine andere Herangehensweise und Haltung zu den verschiedenen Methoden. Es geht eher darum, die Regeneration zu unterstützen. Bei Profisportlern ist der Sport selbst das Ziel: Sie trainieren sehr hart, meist mit klassischen Trainingsansätzen, und innovative Methoden kommen da eher zusätzlich zur Anwendung. Die eigentliche Leistung resultiert jedoch aus dem Training und nicht aus dem Biohacking. Subjektiv kann das Biohacking so empfunden werden, aber aus wissenschaftlicher Sicht macht es keinen grossen Anteil am Erfolg. Für den Erfolg und sportliche Höchstleistungen ist wirklich das konsistente, regelmässige und teils intensive Training verantwortlich.
Im Bereich Fitness und Hobbysport ist Biohacking weitverbreitet. Das Training und alles drumherum haben das Ziel, die Gesundheit zu verbessern, Resilienz zu stärken oder ein höheres Alter zu erreichen. Biohacking verspricht dabei häufig bessere Erfolge in kürzerer Zeit oder eine höhere Effizienz beim Training oder bei der Regeneration. Die Wahrnehmung wird vor allem durch die sehr gute Vermarktung erzielt.
Schauen wir uns ein paar der Methoden an. Welche gibt es und wie funktionieren sie?
Sehr bekannt, beliebt und mittlerweile weitverbreitet ist sicherlich EMS, Elektro-Myo-Stimulationstraining. Dabei wird in kurzer Trainingszeit ein- bis zweimal die Woche die Arbeitsmuskulatur zusätzlich über Elektroimpulse stimuliert, über angebrachte Elektroden oder Anzüge, die man für das Training trägt. Davon erhofft man sich die gleichen Ergebnisse wie bei einem herkömmlichen, länger andauernden Krafttraining. Oftmals wird ein EMS-Training als ansprusvoller empfunden, da die Herzkreislaufanstrengung recht hoch ist: Man trainiert 20 bis 30 Minuten mit vielen Muskelkontraktionen und wenig Pausen. Im Vergleich macht man in einem normalen Krafttraining viele Pausen zwischen den Sets und daher ist das weniger Belastung fürs Herz. Brechen wir es aber auf den Effekt herunter, ist die mechanische Anstrengung bei EMS nicht so hoch wie bei einem herkömmlichen Training, für die Muskeln ist es viel einfacher. Deshalb ist EMS bei Personen, die bereits eine gewisse Fitness haben, nicht wirksamer als ein ganz normales Training, ganz im Gegenteil sogar. Zudem gibt es klare Empfehlungen, wie viel Sport man pro Woche machen sollte und da sind 20 Minuten einfach zu wenig. EMS würde ich, wenn dann für Einsteiger empfehlen, da kann diese Trainingsform ein Anreiz sein, weil es schnell erledigt ist und man feste Termine bucht. Auch bei einer Bewegungseinschränkung kann es sinnvoll sein. Ansonsten sehe ich EMS nur als Ergänzung zu einem herkömmlichen Training.
Und was halten Sie von Astronautentraining?
Es kommt darauf an, was man unter Astronautentraining versteht. Ebenfalls einer der Trainingstrends sind Vibrationsplatten, für die gilt das gleiche wie für EMS. Sie sind häufig gut vermarktet und eignen sich als Ergänzung, ersetzen aber keinesfalls ein herkömmliches Kraft- und Ausdauertraining. Und sie sind nicht für jedermann geeignet, wenn beispielsweise die Grundstabilität fehlt oder bereits Gelenkprobleme vorliegen.
Unter Astronautentraining fallen auch die kurzen, aber intensiven Trainingseinheiten, die sich über den Tag und die Woche verteilen. Wir nennen sie auch Bewegungssnacks: Es wir nicht anderthalb Stunden am Stück trainiert, sondern nur kurz und dafür immer mal wieder, verteilt über die ganze Woche. Dadurch muss man im stressigen Alltag keine langen Zeitslots finden, sondern absolviert eines der Mikroworkouts, die theoretisch jederzeit, überall und selbst auf engem Raum durchgeführt werden können. Meist sind das dann nur fünf bis zehn Minuten. Das ist grundsätzlich eine gute Sache, um die Hürde für mehr Sport zu überwinden und nicht direkt zwei Stunden trainieren zu müssen. Studien zeigen, dass diese kurzen, intensiven Workouts wirkungsvoll sind, vor allem in einer Population, die nicht den höchsten körperlichen Leistungszustand hat.
Sprechen wir mal über Biohacking nach dem Sport: Was können Kältetherapien bewirken?
Dem Eisbaden werden viele verschiedene Effekte unterstellt, deshalb machen das viele Personen ganz regelmässig und binden es in ihre Tagesroutinen ein, beispielsweise als rituellen Start in den Tag. Man sagt dieser Methode eine Stärkung des Immunsystems, Konzentrationsförderung, Wachmachen und vieles mehr nach. Effekte wie eine Verbesserung des Immunsystems lassen sich bisher jedoch nicht nachweisen, genauso wenig wie akute Leistungssteigerungen, körperlich oder mental. Aber Kälte hat einen Effekt auf das Nervensystem und aktiviert bei längerer Anwendung den Parasympathikus und sorgt für Entspannung. Deshalb hat man nach dem Eisbad ein ganz wohliges Gefühl, wenn man aus der Kälte kommt. Zudem wirkt Kälte als ein natürliches Schmerzmittel. Hat man Muskelkater, ist der danach erstmal weg. Auf Regenerationsebene erhofft man sich, schneller die Ermüdung durch intensive Trainings zu überwinden. Da sind die Effekte jedoch überschaubar, denn das Bad müsste so kalt sein, dass wir fast erfrieren. Richtige Effekte sind nur schwer nachzuweisen, trotzdem ist es für viele Personen subjektiv ein Bonus, und wenn es nur ein Wohlgefühl oder ein Strukturgeber im Alltag ist. Zudem sehen wir keine negativen Auswirkungen, es spricht also nichts dagegen, ausser bei Kontraindikationen wie Herzrhythmusstörungen, bestimmten Herzkreislauferkrankungen, offenen Wunden, Infekten oder Hypersensibilität auf Kälte.
Eine andere Variante sind Kryokammern, für deren Effekte und Studienlage gilt das gleiche wie für Eisbaden. Dabei hält man sich in Luft bei bis zu 170 Grad minus auf. Das klingt erstmal extrem, aber wir kühlen über die Luft viel langsamer aus als über kaltes Wasser. In zehn Grad kaltem Wasser kühlen wir stärker aus als in solchen Kryokammern. Winterschwimmen oder Eisbaden in einer Tonne auf dem Balkon ist demnach effizienter und zudem noch umweltfreundlicher und natürlich gratis.
Wie sieht es mit Wärmetherapien aus?
Die Idee bei Wärme, seien es Saunabesuche, Infrarotlicht oder heisse Bäder, ist eine Durchblutungssteigerung der Muskulatur, sodass diese besser mit Nährstoffen versorgt und regeneriert werden kann. Auch hier lässt sich wissenschaftlich keine schnellere Regeneration oder Leistungssteigerung nachweisen. Aber die Wärme kann subjektiv sehr guttun. Manchmal ist man nach dem Training etwas steif und durch die Wärme wird man wieder beweglicher. Das wirkt sich positiv auf den subjektiven Zustand und die Erholung aus. Aber es gibt erste Hinweise, dass Wärme als Ergänzung die Ausdauer steigern könnte. Ausserdem hat man in ersten Pilotprojekten festgestellt, dass ältere Personen, die regelmässig in die Sauna gehen, weniger Muskelschwund haben. So oder so kann man es genauso wie Kältetherapien machen, wenn man es mag, weil es keine negativen Nebenwirkungen gibt. Nur direkt nach intensivem Sport, bei Infekten oder Herz-Kreislauf-Problemen ist es nicht zu empfehlen.
Macht Biohacking im Sport für Laien Ihrer Meinung nach dann Sinn?
Was das Training selbst angeht, sollten immer herkömmliche Ausdauer-, Kraft- und Schnelligkeitstrainings das Fundament bilden. Alles andere kann man ausprobieren, aber nur als Ergänzung. Oder in der Startphase als Sporteinsteiger oder phasenweise bei Verletzungen, wenn nicht so trainiert werden kann, wie man eigentlich sollte. Bei der Regeneration kann man alles machen, was guttut und nicht schadet. Eigentlich ist ja bei Nicht-Profisportlern der Sport unsere Regeneration zum Alltag. Ich mache Sport, weil ich lange gesessen habe und gegensteuern möchte, warum sollte ich das abkürzen? Ansonsten würde ich immer empfehlen vorsichtig zu sein, wenn viel Geld im Spiel ist. Teuer heisst nicht immer gut, sondern vielleicht nur gut vermarktet. Es gibt immer mal wieder Trends, die mit Testimonials aggressiv propagiert werden. Man sollte stets mit einem kritischen Blick darauf schauen, insbesondere wenn die Versprechen fast zu schön sind, um wahr zu sein.
Welche Rolle spielen die Klassiker Ernährung und Schlaf im Vergleich zu Biohacking-Methoden, wenn es um die Leistungsoptimierung im Sport geht?
Zusammen mit der körperlichen Aktivität haben sie eine herausragende Bedeutung. Das sind die drei Säulen, die am relevantesten sind: ausreichend Sport, eine gesunde, ausgewogene Ernährung und genügend sowie qualitativ guter Schlaf. Es braucht nicht gleich Biohacking, denn allein bei diesen Grundlagen ist viel Raum für Optimierung. Ein Beispiel sind Nahrungsergänzungsmittel. Man sieht Personen, die unter der Woche ihre sorgfältig zusammengestellten Nahrungsergänzungsmittel nehmen und dann gleichzeitig am Wochenende acht Biere trinken. Da ergreift man aktiv Massnahmen zur Leistungsoptimierung und macht zur gleichen Zeit vieles, was die Leistung negativ beeinflusst. So langweilig es auch klingt, wer die drei grundlegenden Dinge erfüllt, macht schon vieles richtig und benötigt kein Biohacking, um sportlich voranzukommen.
Gibt es Neuheiten oder Entwicklungen, die in den kommenden Jahren interessant werden könnten?
Ich hoffe, dass wir in Zukunft Wege finden, Personen auch ohne unrealistische Versprechen für Sport und gesunde Ernährung zu begeistern. Ich bin überzeugt, dass wir das nicht durch neue technologische Methoden erreichen. Ein gutes Beispiel dafür sind Wearables, mit denen man dachte, Sportmuffel zum Training zu bewegen. Tatsächlich hilft das nur Personen, die bereits sportinteressiert sind. Oft weckt die Smartwatch ein kurzfristiges Interesse an mehr Bewegung, aber es fehlt die Nachhaltigkeit. Wir erreichen das eher durch ein verändertes Lebensumfeld, das Sport interessanter und leicht zugänglich macht. Ein bewegungsfreundliches Umfeld hilft da sehr. Die Holländer fahren viel mehr Fahrrad, weil es so viele tolle Fahrradwege gibt – diese Art von Lösungen meine ich.