Bewährte und neue Behandlungsmethoden bei Urtikaria

Jeder Zehnte leidet mindestens einmal im Leben an dieser Hautkrankheit. Die Therapie ist vielfältig

Spoiler

  • Nesselsucht ist eine Hautkrankheit, die sich durch stark juckende Quaddeln und Schwellungen in den tieferen Hautschichten, sogenannte Angioödeme, äussert.
  • Die Therapie zielt auf eine Vermeidung der bekannten Auslöser ab, die Beschwerden werden durch Antihistaminika, Biologika und Kortison behandelt.
  • Die Auslöser der chronischen Urtikaria bleiben oft unbekannt.

Judith Alder war 30 Jahre alt, als sich bei ihr erstmals Quaddeln auf den Beinen einstellten: immer dann, wenn sie zuvor joggen gewesen war. «Nach dem anschliessenden Duschen war es besonders arg», erinnert sich die stellvertretende Direktorin eines Pflegezentrums in Dietlikon (ZH). «Meine Beine schwollen an und begannen, unerträglich zu jucken.» Was sie nicht wusste: Sie litt an Urtikaria, hervorgerufen durch eine thermische Reizung.

Gegen die Beschwerden half ein Antihistaminikum, doch Alder gab sich mit der Behandlung allein nicht zufrieden. Sie forschte nach den Ursachen für die schmerzhafte Hautreaktion. «Zunächst vermutete ich eine Allergie», meint die heute 49-Jährige. «Ich beobachtete, wann die Quaddeln auftraten, und kam nach dem Ausschlussprinzip zu dem Ergebnis, dass die winterliche Kälte diese auslösten.»

Urtikaria: jeder Zehnte betroffen

Bei der Urtikaria, auch Nesselsucht oder Nesselfieber genannt, handelt es sich um eine Reaktion der Hautnerven und -gefässe auf die Freisetzung von Histamin aus den Mastzellen. «Die Patienten entwickeln juckende Quaddeln, wobei die einzelne Quaddel weniger als 24 Stunden bestehen bleibt», meint Prof. Dr. med. Barbara Ballmer-Weber, Chefärztin Allergologie am Zentrum für Dermatologie und Allergologie des Luzerner Kantonsspitals.

Etwa zehn Prozent der Bevölkerung erkrankt im Laufe ihres Lebens an Urtikaria. Bei den allermeisten Patienten liegt eine akute Form der Erkrankung vor, hier zeigen sich die Symptome nur für wenige Stunden oder Tage. Wesentlich seltener tritt die chronische Urtikaria auf, die sich länger als sechs Wochen hinzieht.

Viele Ursachen möglich

Die Ursachen für eine chronische Urtikaria können vielfältig sein, doch anders als oft angenommen, spielen Allergien nur eine untergeordnete Rolle. Prof. Ballmer-Weber erklärt: «Soforttyp-Allergien, etwa auf bestimmte Lebensmittel oder Insektenstiche, manifestieren sich oft als Nesselfieber. Umgekehrt aber lässt sich bei Weitem nicht jede Urtikaria auf eine Allergie zurückführen.»

Urtikaria kann zum Beispiel durch Infektionen hervorgerufen werden. Zudem sind einige physikalische Reize, Scherkraft auf die Haut (etwa durch Kratzen oder Reiben) oder Druck als potenzielle Auslöser bekannt. Die Urtikaria kann auch in Verbindung mit einer Auto-Immunkrankheit etwa der Schilddrüse auftreten. Dies wird je nach geäusserten Beschwerden des Patienten in der Abklärung mitberücksichtigt. «Der chronischen Urtikaria liegt häufig ein autoreaktives Geschehen zugrunde», meint Prof. Ballmer-Weber. «Dies ist im Labor jedoch nicht routinemässig erfassbar.»

Urtikaria individuell behandeln

Um der Urtikaria auf die Spur zu kommen, werden am Luzerner Zentrum für Dermatologie und Allergologie Blutbild, Schilddrüsenwerte und Entzündungsmarker der Patienten untersucht. Darüber hinaus wird die Aktivität der Krankheit erfragt: Wie häufig Quaddeln und Juckreiz auftreten, welche Tätigkeit zuvor verrichtet, was gegessen und welche Medikamente eingenommen wurden. Hier ist die aufmerksame Selbstbeobachtung der Patienten gefragt. Mit Tagebuchaufzeichnungen und Fotografien können sie die Hausärzte und Dermatologen bei der Anamnese unterstützen.

Lassen sich die Auslöser oder verstärkende Faktoren benennen, sind diese zu meiden. So kann ein wiederholter Ausbruch der Urtikaria vermieden werden. In allen anderen Fällen wird den Symptomen medikamentös entgegengewirkt. «Die Behandlung mit Antihistaminika ist nach wie vor die Therapie der Wahl», weiss Prof. Ballmer-Weber. Bei sehr hartnäckigen Fällen kann das Medikament kurzzeitig auch vierfach überdosiert verordnet werden.

Biologika bei chronischer Urtikaria

Daneben kommen besonders bei chronischer Urtikaria, die sich nicht mehr mit Antihistaminika kontrollieren lässt, auch verstärkt Biologika (Anti-IgE) zur Anwendung. Diese blockieren den Antikörper Immunglobulin E, reduzieren die Bindungsstellen für IgE auf den Mastzellen und unterbinden so die Aktivierungskette der Urtikaria. Mit Biologika haben viele Mediziner inzwischen gute Erfahrungen gemacht, da diese zu einer deutlichen Verbesserung der Symptomatik beitragen.

Kortison hingegen empfiehlt sich für einen akuten Einsatz, jedoch aufgrund der zahlreichen Nebenwirkungen nicht für eine längere Einnahme. Ob durch diese oder jene Behandlungsstrategie: Innerhalb eines Jahres klingt bei bis zu 70 Prozent aller Betroffenen die Urtikaria ab.

Die Kontrolle behalten

Judith Alder hat ihre Nesselsucht inzwischen gut im Griff. Seit sie Kälte als Auslöser identifiziert hat, beugt sie mit atmungsaktiver Sportbekleidung einem erneuten Ausbruch der Urtikaria vor. In den Bergen aufgewachsen, fällt es ihr zwar schwer, auf das gewohnte Baden im Freien zu verzichten. Doch ein durch eine heftige Urtikaria möglicherweise ausgelöster Kreislaufkollaps macht sie vorsichtiger. «Ich bin weniger unbedacht», räumt sie ein. «Trotzdem fühle ich mich sicher, weil ich weiss, dass ich die Faktoren kenne und handeln kann.» Anderen Betroffenen rät sie, frühzeitig die Beratungsangebote von Ärzten, die im Umgang mit der Urtikaria geschult sind, wahrzunehmen. «Es ist wichtig, jemand zu finden, der hilft, den eigenen Körper zu verstehen. Alles andere verunsichert nur.»

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