Atmung: gar nicht so selbstverständlich

Der Autor James Nestor im Gespräch

Mann
Was hat Kauen mit der Atmung zu tun?

Man weiss, dass Kauen in der Kindheit wichtig für die Ausbildung der Mund-Kiefer-Region ist. Ist diese gut ausgebildet, sind die Atemwege weiter und die Person hat weniger Probleme mit der Atmung und seltener Atemwegsinfekte.

Dann atmen also viele nicht richtig?

Unser Lebensstil hat uns zu den schlechtesten Atmern im gesamten Tierreich gemacht. Es ist verrückt wie viele Menschen schnarchen oder an Schlafapnoe leiden. Eine Ursache ist anatomisch. Unsere Gesichter haben sich in den letzten 300 bis 400 Jahren verändert. Unsere Münder sind zu klein für die Zähne, die Zähne können nicht gerade wachsen und die Atemwege sind nicht so weit, wie sie sein sollten. Daneben leben wir in einer Umwelt mit Luftverschmutzung, Allergenen in der Atemluft und wir sitzen viel vorm Computer. In der Position nehmen wir nicht automatisch tiefe, langsame Atemzüge. Wir tragen enge Kleider, enge Gürtel. All das hilft dem Atem nicht.

Wie kann ich heute anfangen, auf bessere Art und Weise zu atmen?

Atme durch die Nase. Immer. Wer lernt, ständig durch die Nase zu atmen, hat schon viel geschafft. Wir nehmen 20 Prozent mehr Sauerstoff auf, wenn wir durch die Nase atmen.

Für viele ist das schwierig. Immer mehr Menschen sind gewohnheitsmässige Mundatmer.

Und wenn jemand ständig eine verstopfte Nase hat?

Es gibt verschiedenen Möglichkeiten, die Nase zu befreien. Ob Sprays helfen oder Nasenspülungen, Atemtechniken oder sogar eine Nasen-Operation, ist ganz individuell und hängt von der Ursache des Problems ab. Es lohnt sich, Wege auszuprobieren und die Nase zu befreien.

Welche gesundheitlichen Vorteile bringt das richtige Atmen?

Ein guter, gesunder Atem beeinflusst jedes System im Köper. Vom Herz-Kreislauf-System über den Schlaf bis zur Hirnleistung. Wir alle wissen, dass wir Energie durch Nahrung bekommen. Aber die meiste Energie erhalten wir durch den Sauerstoff, den wir atmen. Wenn dieser nicht effizient aufgenommen wird, ist das zermürbend für den gesamten Körper.

Kann die Atmung durch Sport automatisch verbessert werden?

Es hängt davon ab, wie die Aktivität ausgeführt wird. Viele denken, Läufer sind besonders gesund. Oder jemand, der Krafttraining macht. Wenn man genau guckt, haben diese Menschen ebenso häufig Atemwegserkrankungen. Manche sogar mehr. Bei Läufern und Schwimmern etwa ist das Risiko, Asthma zu entwickeln, höher. Denn wenn beim Work-out falsch geatmet wird, hat das negative Effekte. Besonders bei Aktivitäten von hoher Intensität ist es wichtig, richtig zu atmen.

Wie kann man prüfen, ob man beim Sport richtig atmet?

Indem man sich seinen Atem bewusst macht: Atme ich durch die Nase? Atme ich rhythmisch, auch wenn es anstrengend wird? Atme ich langsam, tief und fliessend? Wenn dieser Atem durch die Belastung nicht mehr möglich ist, besser einen Gang herunterschalten. Ziel ist, durch das Bewusstsein neue Gewohnheiten zu kreieren. Das dauert und geht nicht von heute auf morgen.

In deinem Buch sagst du, Mundatmung macht dumm. Wieso?

Es kommt einfach weniger Sauerstoff beim Gehirn an. Eine japanische Studie hat gezeigt, dass besonders der Frontalkortex schlechter durchblutet wird: Das ist der Bereich für Logik und Entscheidungen.

Was hast du selbst durch dein Wissen geändert?

Ich versuche, immer durch die Nase zu atmen, vor allem beim Sport. Nachts klebe ich meinen Mund mit einem Streifen Klebeband zu – eine Methode aus der Atemtherapie, um die Nasenatmung zu provozieren. Ich habe leider nicht den Kieferbau, dass mein Mund nachts automatisch geschlossen bleibt. Zwei- bis dreimal pro Woche mache ich Atemübungen. Überhaupt ein Bewusstsein für die Atmung zu entwickeln, hat für mich schon ganz viel geändert.

Hast du einen Tipp, wie der Atem bewusster werden kann?

Wir können anfangen, zu beobachten, wie flach wir atmen, wenn wir in Zoom-Calls sind oder Nachrichten ins Telefon tippen. Ich habe eine Zeitlang beim Arbeiten ein Sauerstoffmessgerät am Finger getragen und war geschockt zu sehen, welchen schlechten Einfluss die Bildschirmarbeit auf den Atem hat. Dieses Bewusstsein, finde ich, bringt die grösste Veränderung. Nicht irgendeine bestimmte Übung.

Vielen Dank für das Gespräch!
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